September 2024
Qualifikation und lebenslanges Lernen – Reinraummesse als Startpunkt
Es gibt sie tatsächlich: gezielte Ausbildungen in Richtung Reinraumtechnik. So können Interessierte am Hermann-Rietschel-Institut der Technischen Universität Berlin in wichtigen Arbeitsfeldern Kompetenzen erwerben. Sie lernen zum Beispiel etwas über Aerosolphysik, Reinraumfilter, Messtechnik und Probenahme im Reinraum, über Strömungskonzepte, Druckhaltung, Regelung, Bau und Betrieb, über Reinigung, Personal, Kleidung und – ja auch dies! – Behaglichkeit im Reinraum, über Normen und Reinraumklassifizierung und über Energieeffizienz. Anteilig entfallen dabei 40 Prozent auf Fachkompetenz, 30 Prozent auf Methodenkompetenz, 20 Prozent auf Systemkompetenz und 10 Prozent auf Sozialkompetenz. So nimmt interdisziplinäres Denken einen erheblichen Raum ein.
Ähnlich am Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier: Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Feld „Reinraum-Technologie bei der Arzneimittelherstellung“. Eine starke Gewichtung haben die Gute Herstellungspraxis (GMP), zum Beispiel für eine GMP-gerechte Lüftungs- und Klimatechnik, und spezielle Anforderungen an die Prozess-, Leit- und Regelungstechnik. Vor allem jedoch ist immer der Punkt „Interdisziplinäre Projektarbeit“ dabei.
Für Interessenten mit einer abgeschlossenen technischen Berufsausbildung und mit einer mindestens zweijährigen Erfahrung im technologischen Anlagenbau kann sich ein Zertifikats-Lehrgang zum „Projektmanager Reinraumtechnik“ der IHK Akademie München und Oberbayern anbieten. Er ist in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Reinrauminstitut entstanden und vermittelt in sechs Tagen Grundlagen im Bereich der Reinraumtechnik inklusive interdisziplinärer Technologien, Strategien für den Bau von Anlagen und insbesondere für ihre Energieeffizienz sowie breite fachlich-theoretische Kenntnisse. Auch in den Bachelorstudiengängen an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen spielt Reinraumtechnik eine wesentliche Rolle. Eine Vertiefung erfolgt speziell in der „Pharmatechnik“ mit einem Fokus auf Steriltechnik. Auch im Masterstudiengang „Facility and Process Design“ ist die Reinraumtechnik fest verankert, insbesondere in einem Modul „Fabrikplanung“.
Alle Erfahrung aus der Praxis zeigt: Reinraumtechnik ist hochkomplex. Darum erfordern Studiengänge und Aus- und Weiterbildungen ein Grundverständnis für die Komplexität der Aufgabenstellungen in der Reinraumtechnik und möglicher Lösungen.
Auch in der Projektarbeit zählt nicht, dass jedes Gewerk für sich arbeitet. Vielmehr kommt es darauf an, sich auf das Produktionsumfeld zu konzentrieren und in größerem Maße zusammenzuarbeiten. Es liegt auf der Hand, dass Mikroelektronik, Pharma, Medizintechnik, Lebensmittel, Forschungslabore und die Glas-, Folien- und Komponentenherstellung ganz unterschiedliche Anforderungen an die Reinraumtechnik stellen. Beim Brot ist eine Schimmelbildung zu verhindern, während partikuläre Verunreinigungen im Mikrometermaßstab keine Rolle spielen – umgekehrt in der Mikroelektronik.
Praxisbeispiele aus ganz unterschiedlichen Branchen
Um die speziellen Anforderungen punktgenau zu erfüllen, schlägt Josef Ortner, Gründer der Ortner Reinraumtechnik GmbH in Villach, neue Formen der Projektarbeit vor und bringt dazu bereits erfolgreiche Beispiele aus seiner Partnerschaft mit südösterreichischen Unternehmen der Mikroelektronik mit. Im Rahmen einer integrierten Projektabwicklung (IPA) hat man sich an einen Tisch gesetzt, sich gefragt, wohin sich Reinraumtechnik in dieser Branche in zehn Jahren entwickeln dürfte: hoher Automatisierungsgrad und menschenleere Fabriken. In einem kleinen Pilotprojekt hat man dann in diesem Sinne für eine Halbleiterherstellung die bestehende Infrastruktur verbessert und eine Luftwäscheanlage in das Gesamtsystem integriert – aber in einer anderen Art der Zusammenarbeit als sonst.
Das IPA-Prinzip lautet: Jede Firma bei diesem Projekt legt ihre Kalkulation offen und alle setzen sich gemeinsam das Ziel, die Qualität der bestehenden Produktion entscheidend zu verbessern. Der Generalunternehmer stellt alles, was nötig ist, zur Verfügung (z.B. Beschichtungsmaterialien), während Gas-, Heizungs- und Wasserinstallateure, Elektriker und andere Gewerke bei der Installation möglichst effektiv zusammenarbeiten. Wer mehr über IPA erfahren möchte, kann dies auf der Cleanzone tun: Am 25. September 2024 um 10:40 Uhr hält Friedrich Seeger-von Klitzing (Yukon Projects GmbH) den Vortrag „Integrierte Projektabwicklung – wie auch ihr Reinraumprojekt gelingt.“
In einem anderen Beispiel hat Josef Ortner für einen Spezialisten für Wasserspender und Getränkeautomaten gearbeitet. Statt jedoch an einem bestimmten Punkt einen Auftrag zu ergattern und dann allein weiterzumachen, lautete sein Motto: „Ich unterschreibe jeden Vertrag, solange wir anschließend zusammen am Projekt arbeiten.“ Unter anderem holte er zusätzlich die Universität Graz mit ins Boot.
Für die beteiligten Handwerker und Ingenieure verband sich dies zwar mit einem ungewohnten Lernprozess, doch als Ergebnis entwickelte man ein neues Gerät. Damit löste man bis dahin bestehende Verkeimungsprobleme.
Für diese Arten von Projektarbeit benötigen die beteiligten Partner gegenseitiges Vertrauen („Der andere will wirklich fair mit mir zusammenarbeiten.“), Offenheit („Was kann ich wirklich gut, und wo brauche ich die Kompetenz der anderen?“), die Übernahme von Verantwortung durch jeden einzelnen („Wo ich besonders gut bin, habe ich auch den Hut auf und stehe dafür gerade.“) und eine gute Führung.
Als Gesamtverantwortlicher für das Projekt hat man sich die Frage zu stellen: Wie schaffen wir Reinheit genau dort, wo das Produkt sie erfordert, und wie bringe ich alle Mitarbeitenden dazu, sich zu interessieren, dazuzulernen und weit über den Tellerrand hinauszudenken?
Weil sich sowohl die technischen Möglichkeiten weiterentwickeln als auch die Art und Weise der Projektarbeit, gehört gerade in der Reinraumtechnik lebenslanges Lernen zu den Grundvoraussetzungen für den Erfolg.
Beispielsweise lässt sich im Cleanroom Future Trainings Center in Frankfurt am Main, der „Stadt der Cleanzone“, ein Lehrgang für Reinraum-Verantwortliche besuchen und mit Zertifikat abschließen. Die Inhalte werden nach einem speziell entwickelten Konzept mit der Bezeichnung „Reinraum-Technik zum Anfassen“ vermittelt.
In den Bereich einer eigens für den Reinraum konzipierten Didaktik gehört auch das System „Mixed Reality (MR) Cleaning” der viality AG, Dortmund, in Kooperation mit myCleanroom, Heidelberg. Es verbindet die Vorteile der virtuellen und der erweiterten Realität. Eine VR-Brille macht dabei für eine Reinigungskraft bestimmte Bereiche sichtbar, indem sie sie mit einem farbigen Hologramm überlagert. Durch diese Visualisierung sensibilisiert das MR-System für die dort lauernden Infektionsrisiken. Die Reinigungskraft erkennt unmittelbar die kritischen Bereiche – beste Voraussetzungen für eine korrekte und effektive Reinigung. Das System kann über Schulungssituationen hinaus auch im Alltag eingesetzt werden. Mehr Informationen zum Einsatz von VR zur Optimierung der Produkt- und Reinraumfertigung gibt auch Ed Butler (Business Development Sanner GmbH) in seinem Vortrag bei der Cleanzone am 25. September 2024 um 15.00 Uhr.
Übergreifendes Konzept BIM
Es gibt über einzelne Beispiele aus der Praxis hinaus auch übergreifende Konzepte. Eines davon heißt BIM (Building Information Management). Darin steckt vieles: ein virtueller runder Tisch für Architekten, Ingenieure, Laborplaner und Reinraumspezialisten, Luftströmungs-Simulation, ein Rahmen vom Verein Deutscher Ingenieure für die Ausgestaltung in der Praxis (VDI 2552). Bei konsequenter Umsetzung lassen sich Doppelarbeit und viele Fehlerteufel im Detail vermeiden (wie etwa die Kollision der zentralen Reinstwasserzufuhr mit einer Löschwasserleitung).
Neue Formen der Projektarbeit und übergreifende Konzepte wie BIM haben eines gemeinsam: Es sind am Anfang mehr Manpower und Brainpower und womöglich auch höhere Investitionen in ein Projekt hineinzustecken, um später die vielen Früchte ernten zu können. Dazu zählen eine reibungslose Fertigstellung und monetäre Einspareffekte im Betrieb, weil selbst spezielle Details von vorneherein durchdacht und optimiert sind wie die Auslegung eines Schleusensystems, die Leistungsdaten von Lüftungen im Reinraum, verbaute Materialien oder Wartungs- oder Hygienepläne. Vor allem jedoch steigt die Produktqualität!
Fazit für die Menschen in der Reinraumtechnik
Unterm Strich lässt sich sagen: Vieles in der Reinraumtechnik ist komplex. Dennoch resümiert Josef Ortner: „Mich hat ’s von Anfang an fasziniert! So vielfältig sind die Aufgabenstellungen, mit denen wir uns hier beschäftigen. Das Wichtige: Man muss sich wirklich alles ernsthaft überlegen, denn teilweise geht es sogar um Leben und Tod, beispielsweise in der Pharmaproduktion.“
Eine gute Gelegenheit, sich über seine persönlichen Chancen in der Reinraumtechnik zu orientieren und als Unternehmer auf viele gute potenzielle Mitarbeiter zu treffen, bietet die Messe Cleanzone am 25. und 26. September 2024 in Frankfurt am Main.
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