Mai 2024
Medizinisches Cannabis - ein Fall für den Reinraum
Zum 1. April 2024 ist in Deutschland die Teillegalisierung von Cannabis in Kraft getreten. Dies gibt auch Anlass zu einem Blick auf den medizinischen Cannabis. Seit seiner Zulassung vor sieben Jahren stellt er hierzulande für Patienten eine Therapieoption dar. Für den zertifizierten Anbau braucht es allerdings Reinräume
Cannabis hat bereits eine beeindruckende Karriere durchlaufen. Sie beginnt bei den Ägyptern, Griechen und Römern und setzt sich im 12. Jahrhundert in den Schriften der Hildegard von Bingen fort (u. a. gegen Schmerzen, Übelkeit und Rheuma). Erfolge feiert Cannabis vor allem im 19. Jahrhundert, als es zum meistverkauften Mittel in den Apotheken Amerikas und Europas avanciert [1]. Man verfügte aber noch über kein fundiertes Wissen über Inhaltsstoffe, Wirkmechanismen und die idealen Anbauverfahren.
Am Beispiel des medizinischen Cannabis wird schnell deutlich, warum er heute in einem Reinraum wachsen sollte. Selbstverständlich gelten für die üblichen Anforderungen an jedes Medikament: Ein kontrollierter und penibel dokumentierter Wirkstoffgehalt muss eine genaue Dosierung ermöglichen. Dazu sind verschiedene Regularien zu beachten, insbesondere die Monografie zu Cannabisblüten im Deutschen Arzneibuch (DAB), die Gute Herstellungspraxis (GMP) und die Gute Praxis für die Sammlung und den Anbau von Arzneipflanzen (GACP).
Diese Vorschriften verfolgen unter anderem das Ziel, Schädlinge oder Schimmelsporen während des gesamten Wachstums von der Zellkultur bis zur Blüte ebenso zu vermeiden wie eine Schwermetallbelastung. Nach GMP muss dies über spezielle Nachweise dokumentiert werden. Zu ihnen zählen Tests auf verschiedene Schwermetalle, die Bestimmung der Gesamtkeimzahl aerober Mikroorganismen, zusätzlich qualitative und zum Teil quantitative Nachweise bestimmter Mikroorganismen sowie die Bestimmung der Gesamtkeimzahl an Hefen und Schimmelpilzen. Die Kontrollmaßnahmen betreffen über den Anbau hinaus auch die weitere Verarbeitung (z. B. Trocknungsprozesse).
Aus diesen strengen Prüfungen ergeben sich wiederum spezielle Anforderungen an die Klimatechnik. Für einen gleichbleibenden Wirkstoffgehalt müssen insbesondere Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Licht, Frischluftzufuhr und Luftströmung gesteuert werden. Für den Cannabis-Anbauer kommt dadurch als weiterer Vorteil eine Ertragsmaximierung hinzu. Das Wasser zum Gießen der Pflanzen wird speziell aufgereinigt und filtriert.
Normkonforme Komponenten sichern Qualität
Damit sind nun bereits viele Elemente der Reinraumtechnik benannt. So verwundert es nicht, wenn sich die Erfüllung sämtlicher Regularien am besten durch Reinraumbedingungen vom Anbau der Pflanzen bis zur Verpackung sichern lässt. Darum bietet es sich an, die „Cannabis-Felder“ in Reinräumen zu bewirtschaften, spezielle Klimaschränke zu nutzen und diese mit einer zertifizierten Software über eine Plattform zu steuern, inklusive Datenaufzeichnung und Archivierung. Um ein Gefühl für die Größenordnung zu bekommen: Vor zwei Jahren hat ein Cannabisproduzent in der Schweiz eine Produktionsanlage mit einer Fläche von 1100 Quadratmetern für den Anbau und die Verarbeitung der Pflanzen in einer kontrollierten Reinraumumgebung in Betrieb genommen. Das entspricht einem Siebtel eines Fußballfeldes.
Für die Produktion von A bis Z existieren strenge Regularien. Alles erfolgt nach GMP und/oder nach der Reinraum-Norm DIN EN ISO-14644 (in der Regel GMP D/ISO 9) und unter Berücksichtigung der entsprechenden Richtlinien mit der Bezeichnung „VDI 2083“ des Vereins Deutscher Ingenieure. Vorteile bieten beim Aufbau eines Reinraums daher Komponenten, die ihrerseits bereits nach den Normen und anderen einschlägigen Maßgaben zertifiziert sind (z.B. ganze Klimakammern, Software, Mikrowellen-Extraktoren).
Der Lohn für den Aufwand liegt in standardisierten Tetrahydrocannabinol-Zubereitungen (THC) zur Verwendung als Arzneimittel. Daneben lassen sich ebenso Cannabidiol-Präparate gewinnen (CBD). Dieser Wirkstoff weist unter anderem schlaffördernde, angstlösende und entzündungshemmende Wirkungen auf, aber keine berauschende Wirkung. So findet man ihn auch in Nahrungsergänzungsmitteln und kosmetischen Ölen.
Forschungsfeld Weltraumpharmazie
Reinräume gewinnen darüber hinaus eine zunehmend größere Rolle für viele weitere Anwendungen in Produktion und Forschung – bis zur Weltraummedizin und -pharmazie. Pharma-Wirkstoffe, Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika lassen sich oft schneller unter Bedingungen der Schwerelosigkeit entwickeln, im Weltraum. In der Schwerelosigkeit wird die Virulenz von Bakterien erhöht, biologische Prozesse generell beschleunigt. So lassen sich Experimente im Zeitraffer-Verfahren durchführen und Impfstoffe schneller entwickeln.
Weltraummedizin hilft ebenso bei Osteoporose-Medikamenten. Denn Astronauten erfahren während ihrer Missionen im Weltraum einen beschleunigten Knochenabbau. Auch dies ermöglicht Innovationen im Zeitraffer.
Selbst die Landwirtschaft kann von Experimenten in der Schwerelosigkeit profitieren. Sie können dazu beitragen, grundlegende Wachstumsprozesse besser zu verstehen. Dies kann zur Entwicklung verbesserter Pflanzenstämme mit höherem Ertrag, zu einer besseren Resistenz gegenüber Schädlingen und Erkrankungen oder zu einer Vielzahl anderer wünschenswerter Eigenschaften führen (womöglich auch bei Cannabis!).
Welche Chancen sich aus aktuellen Entwicklungen und wegweisenden Produkten der Branche ergeben, erfahren Besucher*innen der Reinraum-Messe Cleanzone am 25. und 26. September 2024 in Frankfurt am Main aus erster Hand.
Literatur
1. Barbara Segger: Harmloses Hanfprodukt? PTA heute 23 (2023): 88-90
2. https://swisscanntec.ch/marihuana-anbau-produktion, Zugriff am 28.4.2024
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